Häufig haben (potentielle) Erben den Eindruck, dass Erblasser durch Dritte, die oft außerhalb des eigentlichen Familienverbundes stehen, zu fragwürdigen Entscheidungen gedrängt werden, die sich negativ auf das (mögliche) Erbe auswirken.
Es muss vorausgeschickt werden, dass es in Deutschland im Normalfall keinen Grundsatz gibt, wonach der Erblasser verpflichtet wäre, den potentiellen Erben „ihren“ Nachlass zu erhalten. Gerade deshalb argwöhnen potentielle Erben, wenn plötzlich Dritte auftauchen und sich – aus welchen Gründen auch immer – um die Belange des Erblassers kümmern, gleich Schlimmes.
Hier hatte der Erblasser wohl selbst noch erkannt, dass er sich hatte übertölpeln lassen. Durch zwei Instanzen klagte er allerdings zunächst erfolglos, erst der Bundesgerichtshof macht dem Kläger jetzt etwas Hoffnung.
Was war geschehen?
Der Kläger, ein hochbetagter Senior des Geburtsjahres 1938, war Eigentümer mehrerer Mehrfamilienhäuser. Im Jahre 2015 lernte er eine über 50 Jahre jüngere Frau kennen, die sich fortan um die Verwaltung seiner Immobilien kümmerte und als Gegenleistung in einer solchen Immobilie mietfrei wohnen durfte. Es entstand wohl auch eine (Liebes-)Beziehung.
Im August 2018 erkrankte der Kläger an einer Lungenentzündung und musste stationär im Krankenhaus behandelt werden. Gleich zu Beginn der Krankenhausbehandlung erteilte er seiner Verwalterin, der späteren Beklagten, eine Vorsorgevollmacht. Am 22. August wurde er dann auf eine Intensivstation verlegt, am 26. August widerrief er die Vorsorgevollmacht mithilfe einer seiner Töchter.
Am 27. August gab er eine notarielle Erklärung ab, in der er die Annahme der Beklagten als Kind beantragte und ihr gleichzeitig umfassende Vollmachten erteilte.
Am 28. August wurde er wieder auf eine normale Krankenstation verlegt. Zwei Tage später, am 30. August 2018., übertrug er der Beklagten im Wege der vorweggenommenen Erbfolge zwei Grundstücke. Die Beklagte wurde in Vollzug dieses Vertrages am 19.10.2018 als Eigentümerin eingetragen.
Am 06.11.2018 widerrief der Kläger dann alle zugunsten der Beklagten abgegebenen Willenserklärungen. Dies deshalb, weil er zum Zeitpunkt der Abgabe dieser Willenserklärungen nicht geschäftsfähig gewesen sei und darüber hinaus durch die Beklagte in sittenwidriger Weise zum Abschluss des Vertrages gedrängt worden sei.
So trug der Kläger dann im Klageverfahren vor, dass er aus seiner damaligen Situation im Krankenhaus, aus dem Krankheitsverlauf und aus den erhobenen Befunden heraus geistig so beeinträchtigt gewesen sei, dass er seine Entscheidungen vom 30.08.2018 nicht mehr von vernünftigen Erwägungen habe abhängig machen können. Dies bestätigte sein behandelnder Arzt mit einem Attest vom 12.12.2018. Gleichzeitig benannte er unter anderem diesen Arzt als sachverständigen Zeugen.
Land- und Oberlandesgericht haben eine Geschäftsunfähigkeit des Klägers jeweils verneint, weil dafür vermeintlich keine hinreichenden Anhaltspunkte vorgetragen worden waren.
Dies sieht der BGH aber anders. Er führt aus, dass konkrete Anhaltspunkte vorgetragen werden müssen, die eine Geschäftsunfähigkeit zumindest als naheliegend erscheinen lassen. Dazu reicht der Vortrag des Klägers. Insbesondere hätten die Instanzgerichte nicht ohne Beweisaufnahme darüber entscheiden dürfen.
Der Bundesgerichtshof äußerte sodann auch Bedenken gegen die Auffassung der Instanzgerichte, dass auch eine Sittenwidrigkeit des Übertragungsvertrages nicht vorliege. Er weist dabei auf folgendes hin:
Verstößt das Rechtsgeschäft nicht bereits seinem Inhalt nach gegen grundlegende Werte der Rechts- oder Sittenordnung, muss ein persönliches Verhalten des Handelnden hinzukommen, dass diesem zum Vorwurf gemacht werden kann. Dabei kommt es sowohl auf einzelne Elemente als auch den Gesamtcharakter des Verhaltens maßgeblich an. Ausdrücklich weist der BGH darauf hin, dass sich die Sittenwidrigkeit eines unentgeltlichen Geschäfts nicht nur aus den Motiven des Schenkers, sondern insbesondere aus den Motiven des Beschenkten ergeben kann.
Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn sich der Schenker den Wünschen des Beschenkten aufgrund einer Erkrankung oder seiner Persönlichkeitsstruktur nicht ohne weiteres entziehen konnte, wenn der Beschenkte dies wusste oder Inkauf nahm oder gar ausnutzte.
Auch dies hält der BGH im vorliegenden Fall für möglich. Er führt dazu aus:
„Wenn die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers oder sonstige Umstände des Krankenhausaufenthaltes zu einem Zustand der Willensschwäche oder der leichten Beeinflussbarkeit geführt haben, kann dies auch dann die Nichtigkeit des Vertrages begründen, wenn die freie Willensbildung nicht vollständig ausgeschlossen war.“
Weil der Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt war, verweist der Bundesgerichtshof den Fall dann zurück an das Oberlandesgericht und gibt diesem dann noch einige „Regieanweisungen“ mit.
Zunächst wird das Berufungsgericht mithilfe eines Sachverständigen zu klären haben, ob der Kläger zum Zeitpunkt der Abgabe der maßgeblichen Willenserklärung in dem Vertrag vom 30.08.2018 geschäftsunfähig war.
Sollte das Berufungsgericht eine solche Geschäftsunfähigkeit dann noch immer nicht feststellen können, wird es bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit zu überprüfen haben, ob die Behauptung des Klägers, die Beklagte habe gedroht, ihn zu verlassen und aus der Immobilie auszuziehen, falls er den Vertrag nicht unterschreibe, aufgrund aller für die Beweiswürdigung relevanten Umstände trotz fehlenden Beweisangebots als bewiesen anzusehen ist.
Vorsorglich weist der BGH darauf hin, dass eine Rückabwicklung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach bisherigem Sachstand aber nicht in Betracht komme, weil angesichts der Tatsache, dass die Annahme als Kind und die Übertragung der Immobilien in zwei verschiedenen Verträgen beurkundet worden sind, eher gegen eine sachliche Abhängigkeit des Übertragungsvertrages von der Annahme als Kind spräche.
Sollten weder Geschäftsunfähigkeit noch Sittenwidrigkeit positiv festgestellt werden können, muss sich das Berufungsgericht dann nach Auffassung des BGH auch noch mit der Frage beschäftigen, ob die als Schenkung zu qualifizierende Übertragung der beiden Immobilie durch den Kläger wegen groben Undanks wirksam widerrufen worden ist.
Obwohl die Urteile des Land- und Oberlandesgerichtes im Einklang mit vielen anderen Entscheidungen stehen, öffnet sich jetzt zumindest eine Spaltbreite geführt, um gegen potentielle Erbschleicher erfolgreich vorgehen zu können. Natürlich müssen in einem Verfahren die erforderlichen Feststellungen, wie beispielsweise die krankheitsbedingte oder die quasi abhängigkeitsbedingte leichte Beeinflussbarkeit des Erblassers feststellbar sein. Gleiches gilt natürlich für die subjektiven Anforderungen des sogenannten Erbschleichers im Hinblick auf das Erkennen einer solchen Situation und dem verwerflichen Ausnutzen.
Deshalb muss der zugrunde liegende Sachverhalt natürlich immer sorgfältig aufgearbeitet und am besten dokumentiert werden; aber immerhin kann jetzt nicht die Sittenwidrigkeit eines solchen Übertragungsvertrages lapidar dadurch beseitigt werden, weil Zuwendungen an den Partner einer Liebesbeziehung für sich gesehen nicht sittenwidrig seien und der Kläger die Beklagte als Kind annehmen und finanziell habe absichern wollen.
Vieles spricht im Übrigen dafür, dass die in der Entscheidung erarbeiteten Grundsätze auch in Bezug auf die Erteilung von weitreichenden Vorsorgevollmachten angewendet werden können, soweit die Geschäftsfähigkeit in Frage steht oder der bevollmächtigten Person das bewusste Ausnutzen einer Zwangssituation nachgewiesen werden kann.
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