Auszug der Kinder und Verwertungsobliegenheit einer dann zu großen Immobilie bei Beantragung von Grundsicherungsleistungen

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem kürzlich veröffentlichten Beschluss die Frage geklärt, ob bei Beantragung von Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz vorhandener Wohnraum, der deshalb zu groß geworden ist, weil die bisher darin lebenden Kinder ausgezogen sind, verwertet werden muss und damit einem Anspruch auf Grundsicherung entgegensteht.

Das Sozialgericht Aurich hatte bereits Anfang 2020 die Auffassung vertreten, eine solche Verpflichtung verstoße gegen das Grundgesetz und hatte deshalb das Bundesverfassungsgericht angerufen.

Im Streitfall lebte die bedürftige Klägerin in einem Einfamilienhaus, welches im Alleineigentum des Ehemannes stand und das eine Wohnfläche von knapp 144 m2 hatte. Die Kindeseltern zogen mit ihren sechs gemeinsamen Kindern bereits 1997 in dieses Haus ein, das letzte Kind verließ das Elternhaus im Jahre 2013. Der Ehemann bezieht Altersrente, die Ehefrau (Klägerin) beantragte im April 2018 Grundsicherung für sich.

Der Antrag wurde abgelehnt, weil das zuständige Sozialamt die Auffassung vertrat, der von der Klägerin und ihrem Ehemann bewohnte Wohnraum in einer Größe von 144 m2 sei nicht mehr angemessen. Angemessen sei vielmehr in einem Zweipersonenhaushalt ein Wohnraum von 90 m2. Da das von der Klägerin und deren Ehemann bewohnte Haus damit deutlich zu groß sei, könne es mangels angemessener Größe nicht mehr als Schonvermögen im Sinne von § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SGB II deklariert werden. Es müsse vielmehr verwertet werden. Im Falle der Verwertung verfüge die Familie jedoch über ausreichendes Vermögen, sodass eine Bedürftigkeit für Grundsicherung nicht mehr bestehe.

Gegen den ablehnenden Bescheid legte die Klägerin erfolglos Widerspruch ein.

Sie klagte dann gegen den Bescheid und vertrat die Auffassung, wenn sie jetzt zur Verwertung des Hausgrundstückes gezwungen würde, würde sie benachteiligt werden, weil sie in der Vergangenheit Kinder erzogen habe.

Das Sozialgericht Aurich erkannte eine mögliche Verfassungswidrigkeit, weil kinderlose Paare, die ihren Wohnbedarf von vornherein auf die angemessene Grüße ausrichten können, nicht zu einer Verwertung gezwungen werden, während hingegen Eltern, deren Haus nunmehr zu groß geworden ist durch Auszug der Kinder, zu einer Verwertung gezwungen werden.

Das Bundesverfassungsgericht sah die Vorlage zwar als zulässig an, erkannte aber keinen Gleichheitsverstoß.

Das Bundesverfassungsgericht stellt dabei darauf ab, dass § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 i.V.m. S. 2 SGB II allen Betroffenen gleichermaßen die Verwertung von aktuell unangemessen großem Wohnraum abverlangt. Dabei wird nicht unterschieden, ob der Wohnraum durch den Auszug von vorher dort betreuten Kindern zu groß geworden ist oder schon immer zu groß und damit unangemessen war. Das Bundesverfassungsgericht gibt dem Gesetzgeber bei der Gewährung von Sozialleistungen, die an die Bedürftigkeit des Empfängers anknüpfen, grundsätzlich einen weiten Spielraum, inwieweit vorhandenes Vermögen in der individuellen Situation angerechnet wird.

Soweit nicht berücksichtigt wird, dass in der Vergangenheit in dem aktuell bewohnten Wohnraum Kinder betreut wurden, entspricht dies der Systematik, dass Sozialleistungen nur nachrangig gewährt werden sollen. Dabei ist es zulässig, auf die aktuelle Bewohnerzahl zur Bewertung der Frage, ob der bewohnte Wohnraum eine angemessene Größe hat, abzustellen.

Schließlich sei auch der soziale Rechtsstaat darauf angewiesen, das Mittel der Allgemeinheit, die zur Hilfe für bedürftige Menschen bestimmt sind, nur in den Fällen in Anspruch genommen werden, in denen aktuell auch tatsächlich eine Bedürftigkeit vorliegt. Dies liegt hier wegen des zu verwertenden Grundbesitzes gerade nicht vor.

Mithin kommt das Bundesverfassungsgericht zu dem Schluss, dass der aktuell wegen der Größe unangemessene Wohnraum verwertet werden muss und deshalb Leistungen auf Grundsicherung nicht beansprucht werden können.

(BVerfG 1 BvL 12/20 vom 28.04.2020)

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